Kuriose Gestalten und Geschichten unserer Zeit

ZFF 13: Internationale Dokumentarfilme
Bildquelle: 
Zurich Film Festival (The Manor)

Im Vorfeld des 9. Zurich Film Festivals haben wir euch unsere Empfehlungen zu den verschiedenen Wettbewerbskategorien abgegeben. Da unsere Spielfilmtipps demnächst auch im Kino zu sehen sein werden und ihr dann alles zu den Filmen erfahrt, haben wir beschlossen euch einige der Dokumentarfilme, die im internationalen Wettbewerb liefen, hier nun kurz vorzustellen. Leider konnte keiner dieser drei Filme einen Preis mit nach Hause nehmen, aber wir hoffen trotzdem, dass ihr irgendwann in ihren Genuss kommt.

                    

Gangster te voli: Der etwas andere Film aus dem Balkan.

Während hier die Online Dating Plattformen boomen, geht es in Kroatien noch komplett anders zu und her. Dort betreibt Nedjeljko Babić, wegen seines Äusseren auch Gangster genannt, eine Partnervermittlung alter Schule. So dient unter anderem ein alter ungebrauchter PC im Büro als Dekoration um bei den Kunden einen  «professionellen Eindruck» zu vermitteln. Schliesslich gibt es in der Küstenregion der Adria viele einsame Herzen. Regisseur Nebojsa Slijepcevic blickt mit seinem Erstling äusserst humorvoll auf die Situation im Balkan, knappe 20 Jahre nach dem Krieg. Und zeigt uns eindrücklich, welche Spuren der Konflikt hinterlassen hat. Während die Bulgarin Maja in Split und Umgebung nach einem Mann sucht, sind die kroatischen Männer aufgrund ihrer Kriegserlebnisse sehr skeptisch gegenüber Ausländern jeglicher Absicht. So schafft es keiner der Kriegsveteranen sein Herz zu öffnen und ein bisschen Freude ins Leben zu holen, weil die Frau an der Seite keine Kroatin wäre. Ein gelungener und nachdenklich stimmender Blick auf die heutige Situation in Kroatien.

Der Gangster der Liebe

 

The Manor: Ich, meine verrückte Familie und unser Striplokal.

Dokumentarfilmer haben ein zentrales Problem: Wo finde ich ein interessantes Thema, bei dem es sich lohnt längere Zeit dran zu bleiben? Shawney Cohen hat nicht lange herumgesucht und seine eigene Familie zu seiner Materie gemacht. Die gibt nämlich genug her. Zum einen besitzt sie ein eigenes Striplokal, zum anderen leiden Vater und Mutter an Ernährungskrankheiten. Er ist übergewichtig und benötigt eine Magenverkleinerung, während sie an Magersucht leidet und dies nicht einsehen möchte. So gleiten wir als Zuschauer zwischen entfremdend lustigen Momenten und solchen, bei denen wir sehr unfreiwillig und voyeuristisch in eine Familie und ihre schwierigen Zeiten hineinblicken. Zu einer der vielleicht mutigsten und verwunderlichsten Situationen des diesjährigen ZFFs gehörte die Manor-Q&A-Session. Da war nämlich nicht nur Filmemacher Shawney Cohen anwesend sondern auch seine Mutter Branda. Die Frau vor eigenen Augen zu sehen, über deren Krankheit und die dazugehörigen Ausreden man sich zuvor lustig gemacht hatte, bewirkte bei vielen im Publikum eine leeres Schlucken. Aber eine erlösende Komponente hatte der Besuch der alten Dame schon auch: Sie lässt sich wegen ihrer Magersucht behandeln. Shawney’s Film hat sein wichtigstes Zielpublikum, seine Familie, schlussendlich doch erreicht.

 

Gore Vidal: United States of Amnesia

Mit Gore Vidal verlor die Welt einen grossartigen kritischen Geist. In diesem kurzen Text hier zu versuchen, Vidal und seinen charismatischen Charakter zu portraitieren, wäre lächerlich und zum Scheitern verurteilt. Aus diesem Grund soll der Platz genutzt werden um Nicholas Wrathall zu loben, der es geschafft hat vor Vidals Tod eine sehr amüsante (an keiner Vorführung wurde am ZFF so gelacht wie an dieser) Hommage zu filmen. Mit einem der letzten Interviews im Zentrum, nimmt Wrathall uns von Vidals Kindheit bis zu der Zeit vor dessen Tod mit auf eine Odyssee voller unvergesslicher Anekdoten & Aphorismen, zynischen TV-Duellen und ungetrübten, sich stets als wahrhaftig erweisenden, Zukunftsszenarios. Wichtigste Botschaft: Am Ende gewinnt nur der, der sich stets treu bleibt. Und Gore Vidals Bücher kauft.

Gore Vidal

Tanja Lipak / Do, 17. Okt 2013